Interview mit dem U-Laden

Interview mit dem Umsonstladen (2018) 

Veröffentlicht auf dem anarchistischen Blog Bodenfrost:
Interview mit dem Umsonstladen Villa Galgenberg in Nürtingen
sowie erschienen in der Gai Dào N°91 – Juli 2018

1. Wann und aus welchen Gründen wurde der Umsonstladen gegründet? Ist er mit anderen Projekten verbunden?

Der Umsonstladen wurde vor ungefähr sechs Jahren durch die Villa Galgenberg gegründet. Die Villa Galgenberg ist ein linkslibertäres Wohnprojekt, das seit über 10 Jahren in der Kleinstadt Nürtingen existiert, rund 20 km entfernt von Stuttgart.

Wir betreiben den Umsonstladen aus verschiedenen Gründen:

Der antikapitalistische und politische Aspekt – man darf die Wichtigkeit von Theorie nicht unterschätzen, aber was Leute eher von etwas überzeugt ist die Praxis. Der Umsonstladen ist ein praktisches Beispiel, das erlebbar macht, wie eine Gesellschaft ohne Geld sein könnte, eine Gesellschaft, in der alle nehmen was sie brauchen und freiwillig und gemäß ihren Möglichkeiten geben.

Der ökologische Aspekt – mit anderen zu teilen, was man nicht mehr benötigt, statt es wegzuwerfen, verringert die anfallende Müllmenge. Je länger ein Gegenstand auf die eine oder andere Weise benutzt wird, desto weniger muss hergestellt werden. Weniger Verschwendung von Rohstoffen, weniger Ausbeutung durch Lohnarbeit.

Der Umsonstladen ist kein karitatives Projekt, arm zu sein ist keine Voraussetzung um etwas mitnehmen zu können. Dennoch gibt es auch einen sozialen Aspekt – Leute, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Lage ihre Bedürfnisse nicht decken können, können sich im Umsonstladen versorgen, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen, wodurch sie ihre Würde zurückerlangen oder bewahren.

2. Wo befindet er sich?

Der Umsonstladen befindet sich in einer Scheune neben der Villa Galgenberg. Die Adresse lautet: Galgenbergstraße 4a, 72622 Nürtingen. Der Laden ist im 1. Stock und leider nicht barriererefrei.

3. (…)

4. Beschreibung der Funktion und der Menschen, die den Umsonstladen nutzen:

Die Leute können Gegenstände vorbeibringen, die sie nicht mehr benötigen oder wollen, die aber noch funktionieren. Sie können Gegenstände mitnehmen, die sie brauchen oder wollen. Etwas zu bringen ist keine Voraussetzung dafür, etwas mitnehmen zu dürfen. Wir haben eine Regel, die besagt, dass man höchstens 3 Gegenstände pro Tag und pro Person mitnehmen darf. Absicht dieser Regel ist es zu verhindern, dass Leute sich bergeweise Dinge mitnehmen, um sie beispielsweise auf dem Flohmarkt zu verkaufen.

Es kommen die unterschiedlichsten Menschen in den Umsonstladen: Von Jugendlichen bis zu Älteren, Menschen in prekären Lebenssituationen, Studentinnen, Leute, die einfach Lust haben zu stöbern, auf ein Buch, das sie noch nicht gelesen haben, sich neu einzukleiden oder einfach mit uns zu plaudern und neugierige Leute, die so ein Projekt kennenlernen möchten.

5. Wie werden die Schichten organisiert?

Das Umsonstladen-Team ist Teil des wöchentlichen Plenums der Villa Galgenberg. Beides sind horizontale Projekte, ohne Chef und ohne Hierarchie. Entscheidungen werden von allen, die mitwirken, gemeinsam getroffen. Ein Konsens ist dabei das angestrebte Ideal.
Die Schichten organisieren wir innerhalb des Plenums der Villa Galgenberg oder innerhalb des Teams (…).

6. Woraus bestehen die zu erledigenden Aufgaben?

Die Aufgaben bestehen daraus, die Gegenstände, die uns gebracht werden, anzunehmen oder abzulehnen, im Umsonstladen aufräumen und putzen und die Fragen der Nutzer zu beantworten, die an dem Projekt Interesse haben.

7. Verfügt ihr über ausreichend Teammitglieder, um alle Aufgaben zu erfüllen?

Im Moment bekommen wir das gut hin, aber wir freuen uns natürlich, wenn sich noch jemand anschließen und mit anpacken möchte. Je mehr Menschen sich beteiligen, desto mehr können wir machen und desto häufiger können wir geöffnet haben.

8. Gibt es genügend Platz?

Kann es genug Platz für so ein Projekt geben? 😉

Wenn man gut organisiert und aufräumt bekommt man alles unter. Aufgrund des begrenzten Platzes können wir nicht alles nehmen: Keine sperrigen, großen Gegenstände wie Möbel. Inzwischen haben wir auch Erfahrungswerte, welche Dinge benötigt werden. Entsprechend sortieren wir schon aus, wenn etwas gebracht wird.

Ein Tipp, falls jemand mit so einem Projekt durchstarten möchte: Von Anfang an nur Sachen nehmen, die qualitativ halbwegs ok und funktionell und aktuell sind (beispielsweise keine Röhrenfernseher oder Drucker aus den 80er Jahren).

9. Was passiert wenn es zu viele Dinge gibt (spendet, recycelt, …. ihr?):

Wir recyclen sie so gut es geht gemäß den Regeln der Mülltrennung: Bücher und anderes Papier zum Altpapier, Altglas in den entsprechenden Container, usw.

Die Hemden (und andere passende Stoffe) verwenden wir für unser Upcycling-Projekt, indem wir Stoffbeutel für den Umsonstladen daraus machen.

9a. Wie entstand die Idee, die Taschen zu machen?

Uns gingen allmählich die gebrauchten Plastiktüten aus, die wir sonst immer mitgegeben haben, wenn jemand keine eigene dabei hatte. Gleichzeitig hatten wir einen Überschuss an Hemden, die offensichtlich niemand haben wollte.

Eines Tages sah eine Genossin aus dem Umsonstladen im Internet ein Tutorial, wie man Hemden zu Taschen umarbeiten kann. Die Idee begeisterte sie und sie stellte sie im wöchentlichen Plenum der Villa Galgenberg vor. Es schlossen sich weitere Leute an, denen die Idee gut gefiel. So entstand die Nähgruppe. Schon beim ersten Treffen stellten wir fest, wie viel Spaß es machen kann, gemeinsam mit einem sympathischen Team zu nähen.

In der Siebdruckwerkstatt der Seegrasspinnerei in Nürtingen stellen wir Patches mit der Adresse des Umsonstladens her. Diese werden auf die Taschen genäht, um den Umsonstladen bekannter zu machen.

Uns überzeugt auch der ökologische Aspekt des Upcyclings da er perfekt zu einer der grundlegenden Ideen des Umsonstladens passt.

9b. Verschenkt ihr die Taschen oder verkauft ihr sie, um Mittel für soziale Zwecke einzunehmen?

Im Umsonstladen spielt Geld keine Rolle und wir verkaufen nichts. Wenn sich jemand entscheidet Geld zu spenden um uns zu helfen, die Heizung und die Flugzettel zu bezahlen, haben wir natürlich auch nichts dagegen 🙂 Aber Spenden sind keine Voraussetzung, um sich etwas mitnehmen zu können, sei es eine der Taschen oder ein anderer Gegenstand aus dem Umsonstladen.

10. Welche Gegenstände sind am häufigsten vorhanden?

Kinderkleidung und Bücher. Wir haben auch viele Küchenutensilien, aber es hält sich noch im Rahmen.

Am meisten gefragt sind Kleidung und Haushaltsgeräte.

11. Sag uns einige der erstaunlichsten Gegenstände, die du dort gesehen hast.

Eine Gasmaske – noch am selben Tag, als sie jemand gebracht hat, wurde sie von jemand anders mitgenommen.

Eine Massage-Matte mit spitzen Plastik-Noppen.

12. Wie macht ihr auf euch aufmerksam?

Zusätzlich zu unseren Plakaten und Flugzetteln haben wir eine Web-Seite , einen Twitter-Account und eine Facebook-Seite.

Das wichtigste und wirksamste Mittel, wenn es darum geht Informationen zu verbreiten, ist jedoch die Mundpropaganda.

13. Fallen durch die Aktivitäten des Umsonstladens Kosten an? Wenn ja, woraus bestehen diese? Werden sie gedeckt? Wie?

Es fallen tatsächlich Kosten an. Die Miete für die Scheune bezahlt die Villa Galgenberg. In besagter Scheune befinden sich auch verschiedene Werkstätten und der Trainingsraum der Villa Galgenberg. Weitere Kostenfaktoren sind der Druck von Plakaten und Flugzetteln, die Heizung während der kalten Jahreszeiten und die Müllbeseitigungsgebühren. Diese werden von der Villa Galgenberg und von den freiwilligen Spenden, die der Umsonstladen von einigen Nutzern erhält, abgedeckt.

14. Kommen viele Menschen in den Umsonstladen? Sind sie zufrieden?

Die Nutzer*innenzahlen haben sich in den letzten Jahren sehr positiv entwickelt. Die Resonanz ist durchweg positiv. Ein guter Teil der Nutzer*innen kommt nach dem ersten Mal wieder, viele sogar regelmäßig.

15. Hattet ihr auch schlechte Erfahrungen mit dem Projekt, z. B. dass es ausgenutzt wird und Leute sich bereichern?

Die ganze Idee basiert auf Vertrauen. Grundsätzlich finden wir es besser, Vertrauen gegenüber Menschen zu haben, statt sie von vornherein zu verdächtigen. Wenn jemensch das missbraucht, muss die Person das mit sicher selber ausmachen. Wir stellen niemensch unter Generalverdacht.

Wenn sich herausstellt, dass jemensch den Umsonstladen ausnutzt, indem Gegenstände von dort gezielt ausgesucht und weiterverkauft werden, kann es zu einem Hausverbot kommen. Das ist bis jetzt nur äußerst selten vorgekommen.

16. Was trägst du bei und was bringt dir deine Mitarbeit als Freiwillige*r ein?

Alle im Team tragen bei was sie können und was nötig ist.

Da die zweite Frage eine persönliche ist, werden auch die Antworten entsprechend persönlich ausfallen:

„Für mich ist es ein Ausgleich zum Alltag. Die Arbeit im Umsonstladen freut mich, weil ich viele Aspekte in die Praxis umgesetzt sehe, die ich gern in größerem Maßstab sehen würde.“

„Für mich bedeutet die Arbeit im Umsonstladen ein bisschen das Ohnmachtsgefühl hinter mir zu lassen. Es gibt mir die Möglichkeit die Welt zu verändern, im Hier und Jetzt, und dazu zu lernen während ich handle. Auf einem Transparent über unserer Eingangstür steht ‚Es lebe die Utopie‘ – und die Utopie zu leben ist das, was wir hier versuchen zu tun.“

„Mir macht es Spaß und ich glaube an die Idee. Ich tue gern was für andere.“

„Weil es mir Spaß macht, mit den anderen zu arbeiten.“

(Ursprünglich von Silvia veröffentlicht, als zwei einzelne Interviews auf ihrem Blog (Die Taschen und Der Umsonstladen). Später zu einem Interview verschmolzen, mit zusätzlichen Fotos versehen und auf Kaos en la red veröffentlicht. Letztendlich, im Mai/Juni 2018, übersetzt, ergänzt und bearbeitet durch das Team vom Umsonstladen und veröffentlicht in der Juli-Ausgabe der Gaidao.)